Anlegerschutz: Warnung vor Kokosnüssen

25.03.2014

Leider hat sich jüngst eine wahre Geschichte ereignet, die mittlerweile zum Alltag im Banking geworden ist. Es soll dies nicht nur eine Lehre für diejenigen Privatanleger sein, die glauben, mit der Komplexität von modernen Kapitalmarktinstrumenten locker umgehen zu können. Sondern müsste es auch der Stiftung für Konsumentenschutz einleuchten, dass sie sich auf einem Irrweg befinden mit ihrer Vorstellung von Anlegerschutz. Aber eins nach dem andern.

Elisabeth Hiller, Mitte 60, hat das geerbte Elternhaus verkauft und wurde nach der Handänderung von der Bank kontaktiert. Man habe gute Renditemöglichkeiten. Gewohnt, in der Größenordnung der üblichen 10.000 und 20.000 Franken Kassaobligationen mit der eigenen Bank abzuwickeln, ließ sie sich auf einen Gesprächstermin ein.

Anlegerschutz Kokosnuss

Anlegerschutz rund um die Kokosnüsse (Foto: Fotolia)

Die Anlegerin, gleichermaßen konservativ in ihrer Lebenseinstellung wie in ihren Anlagevorstellungen, wurde zunächst mit einem mehrseitigen Fragebogen konfrontiert. Ordnungsgemäß wurde sie mit der empathischen Aufmerksamkeit eines Verhörrichters abgefragt, wie sie mit einem Verlust von 10 %, 20 % und 40 % umgehen würde.

Sie wolle überhaupt keinen Verlust machen und fände diese Fragerei ziemlich blöd und weltfremd, baffte sie leise vor sich hin. Und machte schließlich doch ein paar Kreuze bei der Mehrfachantwortauswahl, aus denen letztlich allerdings keine Konsistenz abgeleitet werden konnte.

Viele unverständliche Begriffe

Ohne diesen Schritt hätte sie die nächste Gesprächsphase gar nicht antreten dürfen. Ordnung muss sein, dafür hat sich der Regulator entschieden – natürlich ohne je selbst ein Kundengespräch durchgeführt und protokolliert zu haben. Endlich konnte das Beratungsgespräch doch noch auf gewisse Inhalte gelenkt werden.

Von vielen Begriffen verstand sie nichts, und hatte sich bald einige umgangssprachlich verständliche Begriffe gewünscht. Stattdessen wurde sie mit statistischen Formeln und mathematischen Abbildungen, gespickt mit einer Reihe von unverständlichen Finanzkennzahlen (UCITS-konforme KIID, Tracking Error, RFR, Sharpe Ratio, Alpha, Beta, Information Ratio, Benchmark, Volatilität sowie R- und I-Tranche usw.) sowie einem zweiseitigen “Disclaimer” abgespiesen.

Das sei halt der moderne Anlegerschutz, wie ihn die Bankenaufsicht interpretiere und verlange. “Lesen Sie die Packungsbeilage”. Der Empfang der Produktinformationsblätter musste gar unterzeichnet werden. Dabei ging es nicht darum, ob sie das Gesagte tatsächlich verstanden hat, sondern darum, dass dadurch die Bank sich haftungsrechtlich schadlos erklären kann.

Anlegerschutz im Cocos-Karussell

Geblieben sind ihr von den Anlagevorschlägen im Speziellen die “Cocos”. Sie hat es sich mit einer Kokosnuss gemerkt, die einem wirklich weh tun kann, wenn sie einem auf den Kopf fällt. Aber von solchen Metaphern ist der Bankbeamte weit weg. Er umgeht die Abkürzung Coco vom englischen Begriff “Contingent Convertible Capital” eloquent; mit seiner hölzernen Aussprache verrät er allerdings, dass er die englisch abgefassten Unterlagen wohl selbst nie gelesen hat.

Viel lieber wirft er ins Cocos-Karussell Firmennamen wie Swiss Re, Rabobank, Lloyds, Zürcher Kantonalbank und Credit Suisse ein und verspricht verheißungsvolle Coupons von hohen 3,5 % bis rekordverdächtigen 8 %.

Dumm ist Elisabeth Hiller nicht. Offensichtlich bringt ihre hartnäckige Fragerei den Berater in die Defensive. Coco-Anleihen seien einfach beliebt; das sei noch das einzige, worauf sie als konservative Anlegerin setzen könne. Alles andere werfe nach Steuern und Gebühren gar nichts mehr ab. Wie es ganz genau funktioniere, wenn etwas schief liefe, wüsste er nicht. Aber diese Pflichtwandelanleihen seien auch die Rettungsanker in der Finanzkrise gewesen; deshalb seien sie noch immer so beliebt.

Pflichtwandelanleihen werfen Fragen auf

Tatsächlich gibt es eine Vielfalt von Merkmalen in solchen Pflichtwandelanleihen, die Fragen aufwerfen und auch für Profis schwer verständlich bleiben. Derartige Hochzinsanleihen sind nicht mit herkömmlichen Anleihen zu verwechseln. Ein Merkmal ist die Umwandlungs- oder Abschreibungspflicht in schwierigen Zeiten. Damit erlangen die Anleihen Aktiencharakter.

Kommt ein Fremdwährungseffekt dazu, ist die Pflichtwandelanleihe nicht selten risikoreicher als eine solide Schweizer Aktie. Ein weiteres Merkmal ist ihre lange, teilweise “ewige” Laufzeit. Sind die Anleihen auch noch mit Zwangsumwandlungsbedingungen versehen, werden sie trotz dem Fremdkapitalcharakter als Eigenkapital der Unternehmung betrachtet. Gerade auch Genossenschaftsbanken stärken damit ihre Kapitalbasis, um weiter wachsen zu können.

Unter gewissen Umständen können die Anleihen dennoch kurzfristig zurückbezahlt werden. Das ist nur ein Teil der Unberechenbarkeit. Ein weiterer liegt darin, dass der Schuldner die Zinszahlung zunächst stunden oder vielleicht ganz ausfallen lassen kann. Die Beziehung zwischen Risiko und Ertrag ist nicht linear, weshalb Sachverständige stets fragen, unter welcher Bedingung die ewige Anleihe in Eigenkapital, sprich in Aktien, umgewandelt werden kann. Kann oder muss – wer bestimmt das genau? Und unter welcher Bedingung wird die Anleihe hälftig oder gar vollständig abgeschrieben?

Vier Anlagevorschläge und ein E-Mail

Mit vier Anlagevorschlägen, allesamt Coco-Anleihen, wurde Frau Hiller verabschiedet. Zu Hause angekommen war bereits ein Mail mit den Links zu den entsprechenden vier Emissionsprospekten eingetroffen. Hier könne sie die Details nachlesen, ergänzte der Berater sein Gespräch. Der kürzeste Prospekt hatte den Umfang von 171 Seiten. Sicherlich braucht sie das ganze Wochenende, um alles zu lesen. Natürlich hat sie dann immer noch einiges nicht verstanden und die Anzahl unbeantworteter Fragen hat eher zugenommen.

Spielt aber keine Rolle. Der Berater ist seiner Aufklärungspflicht nachgekommen und hat alles wunderbar protokolliert. So versteht sich der Anlegerschutz heute. Ob das wirklich die Absicht der Konsumentenschützer und des Regulators war?

von Maurice Pedergnana

Quelle: www.zugerberg-finanz.ch

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